Sie können jederzeit zu einer Bank, einem Aktienanalysten gehen oder in dem von ihnen bevorzugten Anlegermagazin stöbern und nach einer Anlage am Kapitalmarkt fragen. Und sie werden von jedem der Vorgenannten einen Tipp bekommen. Diese werden sich wahrscheinlich deutlich unterscheiden. Doch macht es Sinn diesem oder dem andern zu folgen und wenn ja, warum? Ich denke, Sie können eine Aktie/Anleihe nur dann für eine längerfristige Anlage auswählen, wenn sie in ihren gesamtwirtschaftlichen Weltbild passt. Ohne die Einbettung in einen makroökonomischen Ausblick macht es keinen Sinn, in Aktien oder andere Anlageformen am Kapitalmarkt zu investieren. Natürlich gibt es vielerlei „Hilfestellungen“, so zum Beispiel Gespräche mit anderen Portfoliomanagern oder Aktienanalysten oder Bankberatern. Doch ziehe ich es meist vor, nur selten oder gar nicht mit diesen zu sprechen, da mich oft das Gefühl beschleicht, sie sagen einem kaum die Wahrheit, wollen oft nur die eigenen Buchpositionen nach oben ziehen oder haben einen Verkaufsauftrag.
Dennoch, um erfolgreich zu investieren, sollte man ein Weltbild haben, um das man seine Investitionen herumbaut und einbettet. Natürlich kann sich im Nachhinein herausstellen, dass einige der getroffenen Annahmen nicht oder anders eingetreten sind. Dennoch wird man sich immer leichter tun, anhand eines ökonomischen Ausblicks zu investieren, als „ins Blaue“ hinein. Und so wird es keinen Sinn machen, die falschen (d.h. nicht zum Weltbild passenden) Wertpapiere auch zu einem günstigen Preis zu erwerben, denn sie werden diese meist nicht günstig bekommen und meistens zum falschen Zeitpunkt wieder verkaufen. Umgekehrt ist es aber sinnvoll, anhand von einigen Grundannahmen zumindest eine gewisse Systematik und Rationalität in sein Portfolio zu bekommen. Denn mögen sich dann einige der getroffenen Grundannahmen als nicht zutreffend erweisen, werden es einige doch sein und damit haben sie als Investor zumindest beim Kauf oder Verkauf einiges richtig gemacht.
Gerne möchte in Ihnen mein ökonomisches Weltbild kurz vorstellen: In Europa leiden wir unter Krieg, Inflation und immer noch bestehenden globalen Lieferengpässen. In den USA ist das Hauptproblem die nach wie vor die viel zu hohe Inflation. Die FED und die EZB versuchen auf ähnliche Weise dieser Herr zu werden. So hat die FED unter Jerome Powell die Zinsen seit Anfang 2022 von 0% auf nun 4,75% angehoben. Die EZB hat den Leitzins auf 3% erhöht. Und beide Zentralbanken haben die Absicht, die Zinsen weiter zu erhöhen. Betrachtet man allerdings die Anleihemärkte, so rentieren sowohl die deutschen wie US-2jährigen Staatsanleihen jeweils um rd. 0,5% bzw. 1% höher als die jeweils 10 jährigen, sind also invers. Danach gehen Investoren davon aus, dass die Zentralbanken evtl. die Zinsen nicht weiter so stark anheben werden oder sogar die Zinsen bald wieder senken werden.
Ich glaube das nicht, denn die Inflation hat sich bisher als zäher erwiesen als befürchtet. Die Löhne insbesondere in Deutschland fangen aufgrund er Tarifabschlüsse an, deutlich zu steigen, die Arbeitslosigkeit befindet sich auf niedrigem Niveau und die Immobilienpreise sind immer noch erstaunlich hoch. Nahrungsmittelpreise steigen kontinuierlich weiter an. Nur wenn diese Parameter sich nachhaltig zu drehen beginnen, können die Zentralbanken den Kampf gegen die Inflation gewinnen. In den USA kann dies noch einige Monate dauern, aber hier sieht man schon erste Anzeichen eine Abflauens. Gleiches gilt für Deutschland, auch wenn die Zahlen für den Januar in die andere Richtung gezeigt haben. Deutschland und Europa hat mit seiner Nähe zum Ukrainekrieg jedoch noch ein weiteres Problem, nämlich das der ständigen Gefahr steigender Energiepreise (nicht zu vergessen sind natürlich die sonstigen Gefahren und Tragödien, die von diesem Konflikt ausgehen). Hohe Energiepreise sind schädlich für eine produzierende Wirtschaft, wie es die deutsche ist. Zinserhöhungen erschweren die Refinanzierungsmöglichkeiten hoch verschuldeter Unternehmen deutlich.
Wie geht man weiter vor: Ich nehme die Zentralbanken beim Wort. Sie werden die Zinsen weiter erhöhen und das Niveau länger hoch lassen. Inflation wird sich erst abschwächen, wenn Löhne fallen, Arbeitslosigkeit, insbesondere in des USA steigt und Immobilienpreise zu fallen beginnen… Steigende Zinsen werden für die Refinanzierung von Unternehmen eine gewichtige Rolle spielen. Für Europa gilt ähnliches allerdings mit der Erschwernis, dass ein Ende des Ukrainekriegs derzeit nicht absehbar ist. Energiepreise werden vergleichsweise hoch bleiben und durch den Inflation Reduction Act („IRA“) werden sich viel Unternehmen überlegen in den USA zu investieren. Kann man damit überhaupt derzeit in Aktien investieren? Ich denke schon, wenn man sich auf Anlagen in marktanteilstarke Unternehmen, mit geringer Verschuldung, hohen Margen und Preissetzungsmacht konzentriert und diese dann zu günstigen Preisen bekommt.
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