- Nach Wochen steigender Spannungen zwischen Russland und der Ukraine, im Zuge derer Russland eine erhebliche Verlagerung von Truppen und militärischer Ausrüstung an die ukrainische Grenze vornahm, eskalierte die Situation in dieser Woche weiter, als Russland die Unabhängigkeit zweier selbsternannter Republiken (Donezk und Luhansk) anerkannte, und nach Angenturangaben Truppen in die beiden Gebiete entsandt haben soll. Die USA, das Vereinigte Königreich und die Europäische Union kündigten an, dass sie bereits heute zusätzliche Sanktionen gegen Russland verhängen würden.
- Wie war die Marktreaktion? Russische Aktien gaben gestern um -10% nach. Der russische MOEX-Aktienindex ist nun in den Bärenmarkt eingetreten und hat in den letzten vier Handelssitzungen ca. 21% verloren. Die Nachfrage nach sicheren Häfen hat naturgemäß stark zugenommen, wobei Gold nahe einem 8-Monats-Hoch von 1.910 USD handelt und die Rendite 10-jähriger US-Treasuries auf 1,86% sank. Die meisten europäischen Aktienindizes gaben gestern um 2-3% nach, haben sich nach einem schwachen Handelsstart aber wieder stabilisiert. Die US-Märkte, die am Montag aufgrund eines Feiertages geschlossen („US President Day“) waren, haben danach erfreulicherweise nicht mit so starken wie erwarteten Verlusten eröffnet. Allerdings darf nicht vergessen werden, dass die Ukraine nicht nur ein wesentlicher Rohstofflieferant ist, hier steht vor allem ein Kampf eines freien Landes gegen einen brutalen Autokraten auf dem Spiel, der eine Zäsur der europäischen Nachkriegsordnung darstellt.
- Was ist als nächstes zu beachten? Analysten und Investoren warten gespannt darauf, welche Sanktionen die westlichen Länder ankündigen werden und ob die Reaktion zwischen den Ländern koordiniert sein wird. Einige Sanktionen wurden bereits angekündigt, z.B. aus Deutschland kommt die Nachricht, dass man Nordstream 2 keine Betriebserlaubnis erteilen werde. Ob dies ausreicht, bzw. was die Sanktionen der andern Staaten sein werden und ob dies Putin beindruckt, wird man sehen. Andererseits dürften die Regierungen nicht alle Karten gleichzeitig spielen, um im Falle einer weiteren Eskalation weiter reagieren zu können. Der Markt wird sorgfältig prüfen, ob es zu Störungen im Erdgas- oder Energiefluss kommen wird – bei erschöpften Vorräten und hohen Preisen können weitere Belastungen für die Sicherung der Energieversorgung die europäische Inflation und längerfristig die künftige Prognose der EZB belasten.
- Positionierung im Portfolio: Sofern man Aktien mit direktem Bezug zu Rußland oder Osteuropa im Portfolio hat, sollt man nun auch nicht mehr verkaufen, da es derzeit nur zu sicher sehr schlechten Kursen möglich sein wird. Europäische und US-Werte haben in den vergangen Tagen und Wochen zumeist positive Unternehmenszahlen geliefert. Dies führte meist nur zu kurzen positiven Kursauschlägen und wurde oft zum Verkauf der Position genutzt. Was deutlich schwerer wiegt als der Ukrainekonflikt, ist die aktuelle Inflation und wie die US Notenbank FED und dann die EZB darauf reagieren werden. Die Unsicherheit besteht nicht nur in welcher Höhe die Zinsen erhöht werden sondern auch wie oft dieses Jahr. Während manche Beobachter in den USA mit einen 0,25% -igen Zinserhöhung im März ausgehen, glauben diverse Beobachter bereits an eine Zinserhöhung um 0,5% und an bis zu 7 Zinserhöhungsschritte in diesem Jahr. Für Kapitalmärkte ist diese Unsicherheit extrem schwer zu bewerten, daher sehen wir auch sehr hohe Volatilität und Ausschläge nach unten bei Aktien die hervorragende Ergebnisse – und fast noch wichtiger – sehr gute Ausblicke geliefert haben. So sind auch die Kursrückgänge zu erklären. US Halbleiterhersteller oder europäische Luxuswarenhersteller sind solche Beispiele. Diese Unternehmen konnten ihre Umsätze und Ergebnisse zum Teil um mehr als 50% im letzten Jahr steigern und haben von sehr hoher weitere Nachfrage für 2022 berichtet. Die Bekanntgabe der teilweise hervorragenden Ergebnisse haben manche Investoren zum Verkauf genutzt. Die gesamte Unsicherheit im Markt hat jedoch auch mögliche Käufer vorsichtig werden lassen. Diese Kursrückgänge haben damit nichts mit der Qualität oder dem Ausblick für diese Unternehmen zu tun und sollten in den kommenden Wochen/Monaten aufgeholt werden. Extrem negativ dürften die Kapitalmärkte eine Verzögerung oder Verschiebung möglicher Zinserhöhungen aufgrund des Ukrainekonfliktes aufnehmen, da damit die Unsicherheit und weiter erhöht würde und das Gefühl aufkäme, die FED hat das Heft des Handeln verloren.
- Dies bringt mich zu folgenden Schlussfolgerungen:
- Der Ukrainekonflikt wird die Kapitalmärkte nur kurz beeinträchtigen
- Kein Grund zu irgendwelchen sprunghaften Verkäufen innerhalb eines Depot
- Die Aktien im jeweiligen Portfolio sollten nachhaltig substanzstark, wachstumsorientiert und sehr gut in ihrem jeweiligen Wettbewerbsumfeld positioniert sein
- Sobald sich die Unruhe durch den Konflikt gelegt hat und noch wichtiger, sich eine gewisse Klarheit bei der Bekämpfung der Inflation durch die FED zeigt, sollte man bei einigen stärker gefallenen Werten über Nachkäufe nachdenken